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Eine Odyssee // 12+

von Ad de Bont Ins Deutsche übersetzt von Barbara Buri

Die Bühne erinnert an ein heruntergekommenes Strandcafe, in dem sich nur noch vereinzelte Gäste aufhalten. Penelope, Odysseus Frau, wartet mit ihrem gemeinsamen Sohn Telemachos seit zwanzig Jahren auf die Heimkehr ihres Gatten. Telemachos hat seinen Vater noch nie gesehen. Im Gegensatz zu seiner Mutter glaubt er nicht mehr an die Heimkehr seines Vaters. Ohnmächtig muß er erleben, wie die Freier, die um seine Mutter buhlen, ihm den Anspruch auf sein Erbe streitig machen. Was sie  alle nicht wissen: Odysseus, der listenreiche Held des trojanischen Krieges lebt!

Seine Heimreise wird durch den Willen der Götter vereitelt. Odysseus hat Poseidons Sohn Polyphem das einzige Auge ausgestochen, deshalb rächt sich dieser jetzt an ihm.  

Dem Warten, das der Bewegung der Wellen gleicht: einförmig, wiederkehrend und beunruhigend, wird durch den göttlichen Beschluß Athenes, der Tochter des Zeus ein Ende gemacht. Sie setzt durch, daß Odysseus heimkehren darf.

Odysseus erreicht nach einer abenteuerlichen Reise zu Zyklopen, Nymphen und Sirenen seine Heimat Ithaka. Droht nun ein Massaker – oder wurde schon genug gekämpft?

Heimat, Fremdheit, Schicksal, Selbstbestimmung, Treue und Verrat - zwischen diesen Polen entfaltet sich Homers "Odyssee" als frühes Epos der Menschheitsgeschichte. Gleichsam als Urquelle durchzieht und inspiriert das Werk die abendländische (Kultur-)Geschichte bis heute. Wohl kaum eine Erzählung hat so viele Deutungen und Inanspruchnahmen erfahren.

Homer erzählt die Odyssee seines listenreichen Helden nicht in chronologischer Abfolge. Er entwickelt eine komplexe Erzählweise. Durch Parallelhandlungen, Rückblenden, Einschübe, Perspektiv- und Erzählerwechsel erfährt der Leser, welche Gefahren und Aufgaben der Held bis zu diesem Zeitpunkt gemeistert hat. Diese Dramaturgie hat Ad de Bont für „Eine Odysee“ beibehalten.

Das Stück entfaltet den Stoff aus der Perspektive des jungen Telemachos. Dadurch gelingt eine Brücke in die Jetztzeit. Der Göttervater Zeus ist kein abgehobener Gott, sondern Vater zweier Kinder, Athene und Hermes, die er mit zwei verschiedenen Frauen gezeugt hat. Man könnte ihn als allein erziehenden Vater mit zwei Kindern im problematischen Alter sehen.

Der Irrfahrt des Helden ging ein blutiger Eroberungskrieg voran. Täglich begegnen uns Bilder von langanhaltenden und zum größten Teil sinnlosen Kriegen. Schicksale, die dahinter stecken, wie traumatisierte Soldaten, durch Kriege und Migration zerstörte Familien und die leidvolle Erfahrung von Heimatlosigkeit begleiten unseren Alltag. Sie sind keine Fiktion, keine Geschichte, sondern Realität geworden. Eine Realiät mit der es sich auseinanderzusetzen gilt.

Die Inszenierung von Stephan Weiland setzt den Focus auf Motive, die uns auch heute betreffen: zerrissene Familien, Sehnsucht nach Heimkehr, Infragestellung von Heldenbildern, Verteidigung der Familienehre, Verletzung des Ehrgefühls, Parentisierung, Auflehnung gegen ein scheinbar vorgegebenes Schicksal, Legitimität des Machtanspruchs und  eine die Jahrzehnte überdauernde Liebe.

Mit dieser Inszenierung setzt das Theater im Marienbad die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem holländischen Komponisten Guus Ponsioen und dem schwedischen Szenografen Roland Söderberg fort.

T.W.Adorno nannte Odysseus den ersten modernen Menschen der Literaturgeschichte, da er sich nicht den Göttern und der Bestimmung ergebe, sondern sein Schicksal selbst in die Hand nehme. Herr der eigenen Geschicke zu sein und nicht zum Spielball fremder Mächte zu werden, dieser Wunsch lenkt und bestimmt uns bis heute noch.